Vorbereitungen




 
25.07.2014 - 5.Tag - Regglisweiler - Ulm


Ich wachte ziemlich früh auf. Als mein Wecker sich meldete, war ich bereits fix und fertig angezogen, der Rucksack war gepackt, alles war verstaut. Nach einem kurzen Frühstück ging es eine Stunde früher los als bisher. Nichts wie weg von hier! Der Himmel zeigte ein wolkenloses, strahlendes Blau. Wenn alles gut ging, dann müsste ich in ca. 5 Stunden in Ulm sein. Von dort wollte ich dann mit der Deutschen Bundesbahn zurück.
Die Strecke war recht gut ausgeschildert, immer wieder beruhigte mich das kleine, viereckige Schildchen -HW4 -, ich war also auf dem richtigen Weg. Trotz allem kam es immer wieder vor, dass ein Wegzeichen fehlte, dass es unterschiedlich in seiner Richtungsweisung zu deuten war oder, dass sich ein paar Scherzkekse erlaubt hatten, ein Schild in eine andere Richtung zu drehen, um den armen Wanderer in die Irre zu führen. Jetzt machte sich die wochenlange Vorbereitung bezahlt, mit der ich jeden einzelnen Streckenabschnitt auf dem Computer geplant, abgespeichert und auf meine Navigationsprogramme übertragen hatte. Ein kurzer Blick auf das mitgeführte Tablet zeigte mir sofort meinen aktuellen Standort und gab mir Gewissheit, dass ich mich noch auf der geplanten und farblich hervorgehobenen Route befand.
Dann freute ich mich, wenn nach längerer Zeit wieder mein rot-weißes Zeichen auftauchte und mir entfuhr spontan der fröhliche Ausruf "HW 4", auf der Tonleiter von oben nach unten Ce-Ge-Ce. 



 Ich weiß, wer sich als musikalisch gebildet bezeichnen darf, könnte das, was ich damit ausdrücken möchte, viel präziser benennen. Diese Gnade, das zu lernen, ist mir leider nicht vergönnt gewesen. Ich habe zwar schon einmal etwas von einem eingestrichenen C gehört, auch von einem zweigestrichenen oder einem tiefgestrichenen, aber mir ist zeitlebens nicht klargeworden, wie man einen Buchstaben einstreicht. Mir wurde einfach die Möglichkeit verwehrt, dies zu lernen. Und das kam so: An unserem Gymnasium gab es einen Musiklehrer, einen einzigen, und der nannte sich Oberstudienrat Sirker. Unter uns Schülern hieß er nur "der Seckes". Für alle, die der kölschen Sprache weniger mächtig sind, muss ich erklären, dass der Begriff "Seckes" hochdeutsch nur mit "Pimmel" übersetzt werden kann. Und der Mann hatte den Namen verdient. Er war halt wirklich ein Seckes und wurde auch nur so genannt. Einem unserer Mitschüler wurde das einmal fast zum Verhängnis, denn als seine Mutter wegen irgendeines, sicher belanglosen "Vergehens" bei Herrn OSRat Sirker vorstellig werden musste, begrüßte sie ihn freudig mit " Guter Morgen, Herr Seckes!" Das Verhältnis zwischen diesem Schüler und dem Musiklehrer stand bis zum Abitur unter einem ungünstigen Stern.

Zurück zu mir. Herr Sirker hatte eine unangenehme Marotte. Er war dermaßen in sich selbst verliebt, dass er von uns Schülern verlangte, während der gesamten Musikstunde nicht nur beide Hände brav vor uns auf das Pult abzulegen, sondern ihn eine geschlagene Dreiviertelstunde anzustarren und den Kopf weder nach links noch nach rechts zu wenden. Nun hielt ich das für sehr problematisch und sogar gefährlich. Denn schon als kleines Kind hatte man mich immer dann, wenn ich Grimassen schnitt oder mit einem oder beiden Augen schielte, ermahnt, ich solle das bleiben lassen, denn wenn in einem solchen Moment die Höllenuhr schlüge, dann würde der Gesichtsaudruck zeitlebens so stehen bleiben.                   



Da man aber nie so genau wissen konnte, wann jetzt die Höllenuhr schlagen würde, hatte ich eine Heidenangst, zeitlebens den Seckes anstarren zu müssen, falls nun tatsächlich die Höllenuhr in einer solchen Phase schlüge. Mein Gehirn, wo sich ja bekanntermaßen die Vernunft befindet, das aber gleichermaßen eine Menge anderer Funktionen steuert, befahl aus diesem Grund vorsichtshalber mal dem linken, mal dem rechten Muskulus sternocleidomastoideus, in Aktion zu treten, was unmittelbar zur Folge hatte, dass sich mein Kopf mit dem sich darin befindlichen Gesicht in die entsprechende Richtung und damit von Herrn OSRat Seckes abwandte. Geschah das bei Schülern, denen er gewogen war, dann wiederholte er klimpernd die Passage, die er gerade auf dem Klavier spielte, so oft, bis der Blick dieses Schülers wieder auf seinem Gesicht ruhte. Nicht so bei mir, mich warf er aus dem Unterricht und ich musste-(durfte) den Rest der Stunde vor der Tür verbringen. Dieses Vorgehen entwickelte sich zur Gewohnheit und mit der Zeit lernte ich die Vorzüge dieser Sonderbehandlung schätzen. Zur Vermeidung von Langeweile sparte ich mir regelmäßig am Vortag Hausaufgaben auf, die ich ja in den etwa 40 Minuten vor der Tür noch bequem erledigen konnte. Gab es einmal keine Hausaufgaben nachzuholen, so bot mir die gegenüberliegende Aula mannigfache Gelegenheiten für Streifzüge und Erkundungstouren. So wurde auch mein Erfindergeist in vielerlei Hinsicht angeregt. Beispielsweise tüftelte ich stundenlang an einem Verfahren, wie man wohl das Rednerpult in der Aula bei der nächsten Veranstaltung in sich zusammenbrechen lassen könnte, ohne dass man vorher etwas bemerken würde. Diese Aufgabe, die ich mir in meinen verwehrten Musikstunden gestellt hatte, konnte ich aber leider nicht zufriedenstellend lösen. Was mir heute noch stinkt. Auf alle Fälle liegen hier die Gründe, warum ich bis heute nicht weiß, wie hoch man auf eine Tonleiter steigen kann.
In den späteren Jahren der Mittelstufe begann mich das "Mangelhaft" in meinen Zeugnissen allmählich zu stören, weil es einfach doof aussah. 




Mit einem einfachen Manöver trickste ich deshalb den Seckes aus und wandelte den Dauerfünfer für den Rest meiner Schulzeit in einen Zweier um. "Aber das ist wieder eine andere Geschichte" (Zitat : Michael Ende; Die unendliche Geschichte). Bei Bedarf kann Ausgabe und Seitenangabe nachgereicht werden, aber ich möchte nicht des Plagiats bezichtigt werden und meinen Doktortitel verlieren. Auch wenn ich mir nicht viel darauf einbilde, so möchte ich ihn doch nicht so gerne wegen einer solchen Lapalie wieder herausrücken, schließlich habe ich ein ganzes Jahr dafür gearbeitet. Immerhin. Aber der Menschheit habe ich mit dieser Arbeit auch nicht wesentlich weitergeholfen.
Mit solchen Gedanken beschäftigt war ich gedankenversunken vor mich hin gestapft und hatte wenig auf rot-weiße Zeichen des HW 4 geachtet und lange nicht mehr Ce-Ge-Ce gesungen. Ich konnte nun auch weit und breit kein Zeichen mehr entdecken. Ein Blick aufs Tablet verriet mir, dass ich schon ein ganzes Stück vom vorgeplanten Weg in Richtung Westen abgewichen war. Aber da vorne war ein Dorf, dort, wo man einen Turm sah, auf dem ich mir wunderbar Rapunzel vorstellen konnte, wie sie ihr Haar herabhängen ließ. Steinberg.         



                                                                                                                                                              Am Ortsende müsste ich dann einfach rechts abbiegen, dann würde ich wieder auf meine alte Route gelangen. Am Ende des Ortes, der sich jedoch viel länger hinzog, als es auf der Karte ausgesehen hatte, in dem ich auch die langgezogene Rechtskurve vermisste, gab es aber keine Möglichkeit, rechts abzubiegen.Ich hatte einfach das eine Ortsende vorschnell mit dem anderen verwechselt, wie ich erst viel später -zu spät- feststellte. Ein erneuter Blick auf die Karte offenbarte mir, dass die gesuchten Kriterien, wie ich dachte, erst im nächsten Ort anzutreffen seien. Im übrigen habe wohl mein GPS gerade keinen Empfang! (Wie naiv!!)    Also weiter nach Steig. Langsam begann ich zu fluchen. Die späte Rache des Seckes, der mich mit meinen Gedanken derart beschäftigt hatte, dass ich nun auf diesen Sch...Umweg geraten war. Und nur Asphalt! Ich beschleunigte meine Schritte, da mir bewusst wurde, dass ich mindestens eine Stunde verloren hatte. Auf der weiss markierten Strassenbegrenzung balancierend, sah ich an einem Laternenpfahl eine Geschwindigkeitsmesseinrichtung, die sich nicht entscheiden konnte, ob meine Gehgeschwindigkeit nun 5 oder 6 km/h betrug. Nach einer gefühlten Ewigkeit, aber nun mit der Gewissheit, jetzt endlich zumindest in Richtung auf den richtigen Weg zurück zu sein, erblickte ich ein Schild mit der Aufschrift : Steinberg 1 km. Dort war ich vor anderthalb Stunden durchgekommen! 



Wohl nie in meinem ganzen Leben wäre ich nach Steinberg, Staig, Harthausen, Essendorf und Beutelreusch gekommen, aber " der Weg ist das Ziel" (asiatischer Philosoph oder Buddha höchstselbst?)
Bei Oberkirchberg erreichte ich wieder die Iller, genau dort, wo ich in 5 Wochen den Fluss in Richtung Senden überqueren werde, um dann die Stadt Ulm weiträumig im Osten zu umgehen. Nun aber ging es auf der westlichen Uferseite in Richtung Illermündung. Das bräunlich trübe Wasser von den ergiebigen Regenfällen der letzten Tage beeilte sich auf seinem Weg in die Donau. Wasserschlieren auf der Oberfläche überholten mich. Markierungen verrieten mir, dass es bis zur Mündung noch 8 km seien. Aus der Ferne wehte der Wind die aufgeregten Kreischgeräusche junger pubertierender Mädels zu mir herüber, die wohl den Zweck verfolgten, junge Burschen gleichen Alters auf sich aufmerksam zu machen. Obwohl ich mich von ihnen entfernte, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie leiser würden oder gar verhallten. Im Gegenteil, sie schienen mit zunehmender Entfernung eher lauter zu werden. Und als ich noch über die Phänomene des Windes und seine Fähigkeiten, Schall zu transportieren nachdachte, merkte ich irgendwann, dass sich in mehreren Kanus eine Schulklasse auf Wanderfahrt näherte, mich im Vorbeitreiben freundlich grüßte und sich weiter in Richtung Norden entfernte.


Mittlerweile waren vor mir dunkle Gewitterwolken aufgezogen. Hin und wieder war Donnergrollen zu hören. Hätte ich durch meine Unaufmerksamkeit und meinen Umweg nicht so viel Zeit verloren, könnte ich jetzt schon am Bahnhof sein. War das nun eine weitere späte Rache des Seckes? Was soll's, nur weiter. Noch zwei Kilometer bis zur Mündung, vorbei an einer Brücke. Der Weg wird nun etwas schwieriger, weniger befestigt. Nach 500 m kommt mir ein Mann mit einem Hund entgegen. Ich frage ihn, wie weit es etwa noch bis Ulm und bis zum Hauptbahnhof sei. "Oh, da sind sie auf dieser Seite ganz falsch, denn von der Mündung müssten sie elend lang in westlicher Richtung bis zur nächsten Donaubrücke laufen und dann alles wieder zurück. Da drehen sie besser um, überqueren die Iller und laufen am anderen Ufer. Dort sind es dann nur noch wenige Kilometer."
Also wieder umdrehen, Brücke überqueren und am Ostufer zurück. "Der Weg ist das Ziel"         (Zitat Konfuzius? Oder Buddha") Ich wusste zwar, dass die Iller bei Ulm in die Donau mündet, aber ob östlich oder westlich der Stadt, das haben wir im Heimatkundeunterricht nicht gelernt. Da haben wir den Verlauf von Rur und Erft gelernt, aber Iller, wüsst ich nicht! Donnergrollen ist nun in meinem Rücken zu hören. Der liebe Gott hat also seine Cherubime nur so weit von der Kette gelassen, dass sie mich nicht erreichen konnten und sie damit um mich herum gelenkt!      DEO GRATIAS!  Und Seckes hat seine späte Rache nur teilweise bekommen. Dann war er auch wieder da, Ce-Ge-Ce  , der HW 4!!!


Und dann sehe ich ihn endlich, schon ziemlich nah, den höchsten Kirchturm der Welt. Wegen dieser gesch...... 5 m! Aber dafür hat die Kirche, die im Herbst mein Ziel sein soll 2 Türme! (Ätsch!!)  Und beide nur 5 lächerliche Meter niedriger als der eine in Ulm. Aber ehrlich, was ist besser? Einmal Weltmeister oder zweimal Zweiter? Egal, mer muss och jönne könne! 



Bald ist die Donau erreicht.


                   Sie hat noch deutlich mehr Kilometer vor sich als ich


Nach der Donauüberquerung kommt dann bald der Bahnhof in Sicht.
Puh!! Geschafft, 140 Kilometer, 6 Blasen an den Füßen, aber glücklich. Und ungewohnt, sich nun in der Hektik des Bahnhofsbetriebes zurechtzufinden.
Schließlich sitze ich im Zug nach Meckenbeuren, schliesse die Augen und träume mich zurück in die Natur.






Es war wunderschön, wenngleich anstrengend, hat viele neue Erkenntnisse gebracht, manches Vorausgedachte bestätigt, anderes widerlegt. Es gibt noch einiges zu verbessern, zu verfeinern, zu ökonomisieren, aber ich habe das Gefühl, es lässt sich in den verbleibenden       5 Wochen gut schaffen.

Die seltsamen kleinen roten Flecken, ich am nächsten Tag, in niedlichen kleinen Dreiergruppen über meinen Körper verteilt, entdeckte, wurden als Flohstiche identifiziert. Dem Verursacher hat mein Blut jedoch nicht gut genug geschmeckt, sodass er es vorzog, bei mir nicht dauerhaft Quartier zu beziehen.

Strecke : 31,9 km.                                Gesamt : 138,7 km
Höhenmeter aufwärts : 298 hm.      Gesamt : 3124 hm
Höhenmeter abwärts  : 299 hm.       Gesamt : 3043 hm
Position Zielort : N. 48* 23' 59".        E. 09* 59' 00"



24.07.2014 - 4.Tag - Gutenzell - Regglisweiler



Heute versprach das Wetter wieder traumhaft zu werden. Die Strecke war mit geplanten 23 km relativ überschaubar und die Betreiberin des Hotels, bei der ich mich für die folgende Nacht angemeldet hatte, klang ziemlich missmutig, als ich ihr auf ihre eigene Nachfrage damit drohte, ich würde bereits gegen 15.00 Uhr eintreffen. Also ließ ich mir viel Zeit mit dem Frühstück und verließ das Hotel kurz vor halb zehn. Es gab Obstsalat, -frisch!!!- und ich bemesse die Qualität von Herbergen inzwischen nach der Qualität des Obstsalates - sofern es einen gibt.
Zuvor hatte ich meine Füße gepflegt und alle Blasen mit den entsprechenden Pflastern versorgt. Eine davon ganz unangenehm an der linken Ferse. Unterwegs versuchte ich sie einfach zu ignorieren,was mir tatsächlich gelang.  


Viel mehr Sorgen machte mir meine linke Kniekehle, die seit 24 Stunden schmerzte, als hätte sich darin ein Ödem gebildet. Und sie fühlte sich auch im Vergleich zur rechten Seite etwas geschwollen an. Beim Beugen des Knies über 90 Grad wurde es heftig. Vorsorglich hatte ich ein paar der mitgenommenen Medikamente eingenommen, immer in der Hoffnung, sie würden helfen. Es heißt ja immer, man lerne nicht für die Schule oder für die Uni, sondern für das Leben, und jetzt war ich gottfroh, dass ich vor vielen Jahren Gelerntes endlich bei mir selbst zur Anwendung bringen konnte. Obwohl ich mir geschworen hatte, nach Abgabe der Praxisschlüssel an meine Nachfolgerin nicht mehr zu wissen, wie man Medizin überhaupt schreibt. Aber es hat geholfen. Schmerzen und Schwellung ließen von Stunde zu Stunde mehr nach.
Unmittelbar nach Gutenzell ging es in den Wald und von da an gab es nur noch eines, Wald, Wald, Wald! Von 23 km zunächst 15 km Wald und später nochmals 4 km. Aber das hatte was!!! Totenstille, man hörte nur leises Rascheln in den Bäumen und die eigenen Schritte. Vergeblich versuchte ich Wild zu entdecken. Bisher hatte ich nur 5 Rehe entdeckt, die sich aber trotz respektvoller Entfernung schnellstens mit gewaltigen Sprüngen davonmachten. Einem Fuchs und einem Hasen bin ich auch schon begegnet, aber allen nur auf freiem Feld! Gut, der Hase heißt ja auch mit richtigen Namen Herr oder Frau Feldhase, aber im Wald ist mir bisher noch kein Stück Wild begegnet. Vielleicht bin ich immer noch zu laut mit meinen Schritten oder mir fehlt einfach noch der geübte Blick. 




Nach etwa einer Stunde hatte ich ihn wieder, meinen HW 4, den ich am Vortag in Lauben hatte verlassen müssen, um ein Quartier für die Nacht zu erreichen.




Irgendwann musste ich mitten im Wald eine Straße überqueren und die kreuzenden Autos verrieten mir, dass ich mich nun im Alb-Donau-Kreis befand. Gegen Mittag kam ich an eine Lichtung, dort zeigte mir mein Schatten, dass der Weg, leicht mäandrierend nach Norden führte. Ich folgte also meinem Schatten, der mir den Weg wies.




Und weiter ging es durch Wald, Wald, Wald... Aufgeschichtetes Holz, vermutlich im letzten Winter geschlagen, verströmte den Duft frisch geschlagener Tannen. Vermutlich hatte der heftige Regen der letzten Tage dafür gesorgt, dass sich im Inneren des Holzes Moleküle lösten, die nun in der Luft umher schwirrten und meine Nase wieder an etwas erinnerten, das weit zurück in der Kindheit lag.




Dann, nach den ersten 15 km tat sich der Wald auf und das Tal der Iller lag weit ausgebreitet vor mir. Auf der anderen Seite des Flusses, dort wo die Hügel auf bayerischer Seite wieder anstiegen, reckte sich eine Kirchturmspitze in den Himmel, vermutlich Weissenhorn.




Im Tal angekommen, war die Mittagshitze deutlich zu spüren. Der Wind, der mich bisher angenehm gekühlt hatte, war völlig verschwunden und die Sonne saugte das viele Wasser, das in den Tagen zuvor so reichlich vom Himmel gefallen war, wieder aus dem Boden in die Luft, es wurde schwüler und schwüler. Da war es richtig willkommen und angenehm, dass der Weg nach einer Stunde Wanderung in der Ebene wieder hinauf in den Wald führte. Wieder Wald, Wald, Wald....




Obwohl ich mir zur Schonung meines Knies wirklich viel Zeit gelassen hatte und mich manchmal selbst zur Langsamkeit gemahnt hatte, war das Ziel um 15.00 Uhr erreicht. Der Gasthof hatte geschlossen und nachdem die Wirtin bei meiner Anmeldung schon geknottert hatte, hatte ich fast etwas in der Art geahnt. Also legte ich mich erst einmal ans Ufer der Iller, um die Sonne zu genießen. Ich genoss es wirklich, schoss aber nach spätestens 5 Minuten jäh auf, nachdem Tausende von Ameisen mit dem Versuch begonnen hatten, mich zu verspeisen. Auf einer nahegelegenen Bank wurde es deutlich erträglicher, die Wartezeit zu nutzen und den heutigen Bericht zu verfassen. Obwohl ich nun bereits mehr als 100 km hinter mir habe, stelle ich fest, dass wir auch hier immer noch Weltmeister sind.


 

Um 17.30 Uhr begab ich mich von der Iller über die Straße zum Gasthof, der jetzt geöffnet war. Die Tür stand auf, eine Katze schmiegte sich an mich, Licht brannte, die Waschmaschine lief, die Tür, an der das Schld "Gaststube" einlud, war verschlossen. Weit und breit keine Menschenseele! Trotz mehrfacher  "Hallo-Hallo"-Rufe blieb es totenstill. Nach einer gefühlten Ewigkeit schlurfte von draußen ein betagtes Mädchen heran: "Soooh, honnt Se sich verspäätet?" - "Noi, I war püngtlich!" - "Gell, aabr I war it dooh, gell!" - " Soo isch es!"  Dann gab Sie mir den Zimmerschlüssel mit den Worten: " 'S isch im erschde Stock, unterem Dach isch es ze hoiss." Als ich das Zimmer betrat, die toten Fliegen auf der Fensterbank erblickte, den Schimmel am Badewannenrand, gewürzt mit dem dazu gehörigen olfaktorischen Ambiente, beschloss ich spontan: "Hier esse ich nicht". Ich fand nicht weit entfernt ein ansprechendes Restaurant mit Gästezimmern und habe sofort für den 5.September umgebucht.

Strecke : 22,7 km.                                                Gesamt : 107,8 km
Höhenmeter aufwärts : 704 hm.                      Gesamt : 2826 hm
Höhenmeter abwärts  : 713 hm.                      Gesamt : 2744 hm
Position am Zielort. : N 48*14' 30"                  E. 10*03' 34"





23.07.2014 - 3.Tag - Osterhofen -Gutenzell




Heute soll die Strecke wieder länger werden. Aber das macht mir nichts aus, denn es hat aufgehört zu regnen. Gutgelaunt mache ich mich also, leichter bekleidet als gestern, auf den Weg. Zunächst geht es 120 Höhenmeter bergauf. Wieder begegnet mir kein Schwein, dafür aber nach halbgeschafftem Anstieg der erste Mensch. Ich frage ihn, ob ich hier auf dem richtigen Weg nach Graben sei, als er tief Luft holt und sagt: "Gaaanz falsch!!!" ... Dann sieht er wohl mein enttäuschtes Gesicht, zwinkert mit einem Auge und beruhigt mich: "Alles in Ordnung, aber es geht immer bergauf." Beruhigt setze ich meinen Weg durch den Wald fort, als es völlig unerwartet wieder anfängt zu regnen. Schon will ich den Rucksack absetzen, um alles regenfest zu verstauen, als ich merke, dass es nur der Wind ist, der die letzten Tropfen aus den Tannen schüttelt. Derselbe Wind, der aus der Ferne das 9-Uhr-Glockenläuten an mein Ohr trägt und die letzten Wolken nach Südwesten schiebt. Er soll mir den ganzen Tag über ein angenehmer Begleiter bleiben, der dafür sorgt, dass die Sonne mir nicht allzu sehr auf den Pelz brennt.
Dann habe ich ihn wieder, meinen HW 4 - inzwischen ist er meiner geworden und bei meiner Tour im Herbst soll er mich 2 Wochen lang begleiten. Gestern hatte ich ihn bei der Wendelinuskapelle in Haisterkirch verlassen, da ich sonst über eine weite Strecke keine Möglichkeit mehr gefunden hätte, zu übernachten. Nun hatte ich ihn also wieder. Meinen HW 4.





Es ging durch Wald und Feld und manchmal, wenn ich aus dem Wald heraustrat und sich der Blick auf die sanfte Hügellandschaft öffnete, entfuhr mir ein:"Herrlich!!!". Grün-und Gelbtöne in allen Variationen - Herrlich!!!



  Am Horizont der Kirchturm von Bellamont


Mais-und Getreidefelder, an denen es vorbeiging, manchmal sogar durch Maisschluchten, die links und rechts bis zu doppelter Mannshöhe den Weg säumten. Weizen, Roggen, Gerste, soweit das Auge reichte.




Selbstverständlichkeiten unserer Kindheit, die Getreidearten an ihren Fruchtständen zu unterscheiden. Ob das unsere Kinder heute auch noch können? Wissen sie noch, wie es sich anfühlt, wenn man die Grannen des Roggens oder der Gerste gegen den Strich reibt? Oder können sie noch die Bäume an ihren Blättern zu unterscheiden? An Form und Farbe der Blüten die Obstbäume benennen?








Versucht es einmal!! Roggen? Weizen? Hafer? Gerste?



Nach einer Weile verriet mir das Nummernschild eines Traktors, dass ich den Landkreis Ravensburg nun verlassen und den Kreis Biberach betreten hatte. Auf einem Blickfeld von nur 90 Grad sah man allein 5 Hochstände jenseits einer großen Wiese am Rand des Waldes. Mir kam in den Sinn, dass ja irgendwann im Herbst die Jagdsaison beginnt und ich hier wieder vorbei musste. Mein roter Rucksack ist zwar gut zu sehen, aber ich hoffe, bei der Jägerprüfung wird Wert darauf gelegt, unterscheiden zu lernen, dass für die Erkennung von Rotwild andere Kriterien zugrunde gelegt werden als die Farbe Rot und ein vielleicht wildes Aussehen!





Beeindruckend fand ich, wie die Benediktinermönche aus Ochsenhausen im Mittelalter den Krummbach der Natur gemäß von den Quellen her ins Tal leiteten. Man wandert eine ganze Weile daran entlang und kann verfolgen, warum er den Namen Krummbach erhalten hat. Fische suchten im glasklaren Wasser pfeilschnell das Weite. Leider war ich hier zu faul, den Rucksack schon wieder herabzunehmen und diesen schönen Anblick im Bild festzuhalten. Aber in wenigen Wochen komme ich hier ja noch einmal vorbei.

Nach 8 Stunden war das Ziel in Gutenzell endlich erreicht. So schön es unterwegs auch war, aber nach sechseinhalb Stunden beginnt die Stimmung, der Müdigkeit geschuldet, etwas nachzulassen. Zudem stellen sich jetzt die ersten 3 Blasen ein. Gelegenheit nun auch die Blasenpflaster zu testen. Denn auch dafür ist diese Probewoche ja gedacht!


Strecke: 33,6 km                                       Gesamt: 85,1 km

Höhenmeter aufwärts: 1047 hm             Gesamt : 2124 hm

Höhenmeter abwärts: 1112 hm              Gesamt : 2031 hm
Geographische Position am Zielort:    N 48* 06' 52''                 E  09* 59' 49''








22.07.2014 - 2.Tag - Wolfegg - Osterhofen

MAGDALENA weint um ihren Herrn,
drum regnets an diesem Tage gern.
(alter Spruch aus dem Allgäu - muss man als Katholik wissen)






Um 7.15 Uhr ermahnt mich der Wecker aufzustehen.
Die Geräusche, die von draußen an mein Ohr dringen, lassen nichts Gutes ahnen. Ein Blick durchs Fenster gibt mir die Bestätigung: es gießt in Strömen. Hilft ja nichts, also erst einmal genüsslich frühstücken und dann sieht man weiter.

Punkt 9.00 Uhr stehe ich draußen und wie durch ein Wunder hat der Regen aufgehört oder besser gesagt, er macht Pause. Hat Petrus ein Einsehen mit mir? Quatsch - Petrus macht ja das Wetter gar nicht selbst neben seiner Position als Pförtner. Dafür hat er seine Leute. Er selbst steht viel zu weit oben in der himmlischen Hierarchie. Er ist ja nur der Chef und für die Arbeit hat er viele kleine Engelein, die für ihn wettertechnisch schuften, streng regional aufgegliedert. Und die Abteilung Oberschwaben machte gerade Frühstückspause - aber nicht lange, denn nach 2 Minuten hatte der Chef sie aufgescheucht und befahl ihnen streng, sich wieder an die Arbeit zu machen und den Regen wieder auf die Erde zu giessen. Nun muss man wissen, dass die himmlische Abteilung WETTER , Bezirk OBERSCHWABEN nach der letztjährigen Strukturreform bestens funktioniert. Im Gegensatz zum Bezirk Algerien und Sudan, Distrikt WÜSTE, die im Himmel relativ weit links liegen und aus dem Grund auch oft gänzlich dort liegengelassen werden. Und das nützen die Engel dieser Abteilung in ihrer Faulheit viel zu häufig brutal aus. Sie lassen den ganzen Tag die Sonne scheinen und kümmern sich um nichts. Entsprechend sieht es natürlich auf der Erde in deren Zuständigkeitsbereichen aus. Alle paar Wochen, wenn Petrus seine Chefvisite dort macht, scheucht er sie auf und befiehlt ihnen einen Sandsturm oder eine sonstige Abwechslung.




Nun, die für den hiesigen Bereich zuständige Abteilung spurte bestens und das bekam ich zu spüren. Während ich mich beim Frühstück noch an ein altes Kinderlied erinnerte und sang: "Rähne-Rähne-Dröppsche fall nit op mi Köppsche - Rähne-Rähne-Dröppsche .......", musste ich bereits 2 Minuten nach dem Aufbruch den Text ändern, da die Regentropfen sich einen Sch...dreck um meine Beschwörungen kümmerten. Also ging mir nun "raindrops keep falling on my head" im Kopf herum. Nach einem kurzen Abstieg begann der Tag mit einem steilen Anstieg von etwa 100 Höhenmetern - bezeichnenderweise zu einem Ort namens Berg - und plötzlich ging mir durch den Kopf: " I'm singing in the rain.....and I'm happy again" 




Ich war tatsächlich "happy", obwohl es inzwischen wieder in Strömen goss. Happy darüber, dass ich in der Lage war, in meinem Alter problemlos diese Anstiege zu bewältigen, dass es mir gut geht und dass ich gesund bin. Plötzlich wurde es neblig und mir wurde bewusst, dass ich durch eine Wolke ging. Feinste Tröpfchen wehten umher, wurden beim Auftreffen auf mein Gesicht jäh gestoppt und benetzten mich von oben bis unten. Ich vermute, das kann dem Teint auch eines alternden Mannes nur gut tun! Und mir fiel eine alte Formel ein, die ich in meiner Kindheit als Messdiener oder oberschwäbisch "als Minischtrant" unzählige Male zur Antwort gegeben hatte: DEO GRATIAS. Nun ist das kein neues Mittel gegen allzu intensive Schweißbildung, sondern heißt einfach "Dank sei Gott". So heißt es jetzt seit dem 2.Vatikanischen Konzil offiziell in den deutschen Kirchen. Schade eigentlich, habe ich das ganze Latein, soweit es diesem Punkt betrifft, 9 Jahre lang umsonst gelernt!




Ja, und happy war ich auch, dass der Herr DEUS, der sich gerne auch als lieber Gott betiteln lässt, tatsächlich so lieb war und mich vor einem Gewitter beschützte, das heißt, keines anordnete. Denn man muss wissen, Gewitter oder Donnerwetter fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Heiligen Petrus, sondern werden von Allerhöchsten selbst angeordnet , also "höchstpersönlich". Das wäre auch für die kleinen Engelchen viel zu mächtig und gefährlich. Dazu braucht es ganze Kerle. Im himmlischen Organigramm gehen deshalb die Anordnungen für Gewitter total an Petrus vorbei direkt an die zuständigen Erzengel. Wie man weiß..... Das ist übrigens interessant und ist mir häufig bei Vorträgen und auf Kongressen begegnet: Immer wenn der Referent von etwas sprach, was kein Mensch kannte und er zu faul war, es zu erklären, kam die Formel: " wie Sie ja wissen, meine Damen und Herren..." Also : Wie man ja weiß, gibt es in Himmel zwei Sorten von Erzengeln: die Cherubime und die Serafine. Und die Abteilung Gewitter haben, wie man ja weiß ... die Cherubime unter sich. Und die hatten heute frei. Gott sei Dank oder DEO GRATIAS. Und nun ist auch klar, warum bei Gewittern unsere Eltern immer sagten: "Der liebe Gott schimpft".

Gottlob war die heutige Etappe mit etwa 20 km eine von den kurzen, aber der Regen wurde von Kilometer zu Kilometer immer intensiver. Auf der gesamten Etappe begegnete mir kein Schwein, geschweige denn Menschen. "Killimeterweit" kein Mensch - Killimeterweit ist übrigens ein Ausdruck unseres alten Geographielehrers -Gott hab ihn hoffentlich selig -, der bei uns Schülern nur "der Schrat" hieß, sein richtiger Name ist mir entfallen. Die älteren unter uns erinnern sich sicher an den Schrat aus den "Mecki" Comics in der HÖR ZU in den 60-erJahren. Jedenfalls hatten wir beim Herrn Schrat fast nie Geographieunterricht, weil wir es meist geschickt verstanden, das Gespräch auf das Thema Fußball zu lenken. Und wer dann die Orte auf der Landkarte zeigen konnte, in denen die Vereine der Oberliga West spielten, der hatte schon gewonnen! Hier und heute jetzt kamen mir, mit diesen Gedanken beschäftigt, bei den Anstiegen zunehmend größere Kaskaden von Wasser entgegen, beim Abstieg überholten mich zunehmend stärker anschwellende Bächlein auf ihrem Weg ins Tal. Hier und da empfahl es sich, neben den Pfad zu treten, um mit den Schuhen nicht ganz im Wasser zu versinken.

Ich wollte schon auf meine Pausenbrote verzichten und lieber den Poncho über dem Rucksack lassen, sonst wäre alles innerhalb kürzester Zeit durch und durch nass gewesen. Da kam mir ein Zufall zu Hilfe und ich sah einen Hochstand mit vermutet dichtem Dach. Und so kam ich dann doch noch zu einer Stärkung unterwegs.




Nun hoffe ich, dass der Wetterbericht rechtbehält und das Sauwetter morgen vorbei ist. Denn Petrus mag Abwechslung, "wie man ja weiß" und so, wie er die Abteilung Oberschwaben im Griff hat, müsste es eigentlich klappen. DEO GRATIAS!!!

Strecke: 19,3 km                                      Gesamt :   51,5 km
Höhenmeter aufwärts : 317 hm           Gesamt : 1077 hm  
Höhenmeter abwärts  : 401 hm           Gesamt :   919 hm
Position am Zielort :  N. 47* 56' 07''.    E. 9*48' 58''




21.07.2014 - 1. Tag -(Generalprobe)- Tettnang-Wolfegg

 


Letzter Blick auf Tettnang


Heute hat die Generalprobe von 5 Tagen begonnen, bei der nochmals die Ausrüstung überprüft und getestet wird, was noch fehlt, was überflüssig ist und ob die Logistik so tauglich ist, wie ich sie mir ausgedacht habe.
Von Tettnang ging es den HW4 (der Hauptwanderweg 4 führt von FN bis Würzburg) über Bodnegg und Waldburg nach Wolfegg. Bis Waldburg hatte ich Glück, dann begann es zu tröpfeln und nun hat es sich richtig eingeregnet. Dieses Wetter erwartet mich wohl auch morgen.



Hopfengärten so weit das Auge reicht



Strecke : 32,2 km
Höhenmeter aufwärts : 760 hm 
Höhenmeter abwärts  : 518 hm 
Position am Startort :   N  47* 40` 23"        E  09* 34`48"
Position am Zielort :      N 47* 49` 54"         E  09*47`643













Für den START ist der 02.09.2014 geplant.


Unter dieser Rubrik sollen ab 02.09.2014 die täglichen Berichte eingestellt werden.



















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen